Cornelia Böhnisch
„Sprach der Pfarrherr: „So wolle Gott und der Herr St. Magnus, daß ihr ein ganz Jahr also tanzen müsset!“
Quelle: Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsche Sagen.
Warum tanzt der Mensch?
Ist tanzen göttlich oder teuflisch?
Das unerklärliche Phänomen der mittelalterlichen Tanzwut-Epidemien als Startpunkt für ein Projekt, dessen Weg und Ziel noch ungeplant ist. So unplanbar wie der Ausgang einer für den Körper risikohaften realen Handlung.
Die Tanzwut mit dem Ursprung nicht in der Kunst, sondern in tatsächlich vollzogenen Handlungen. Tanzen als reales Erleben für den Zuschauer und den Tänzer. Kein inszeniertes, wiederholbares Spiel, sondern Tatsächliches mit realen Folgen für den Körper.
Schmerz, Wunden, Freude, Ekstase und die Erinnerungen daran. Tanzen als etwas, das näher am Leben ist, als an der Inszenierung. Tanzen als etwas, das näher am Tod ist, als an der darstellenden Kunst. Zutiefst irdisch, mehr noch: unterirdisch, eingegraben.
Die Äcker der Unschuld.
Ein Jahr lang stellt Cornelia Böhnisch gemeinsam mit dem Ensemble, externen KünstlerInnen und Gästen aus Kunst und Wissenschaft die Fragen "Warum tanzt der Mensch?“ und "Ist tanzen göttlich oder teuflisch?". Interdisziplinär erforschen sie die Tanzwut im philosophischen, historischen, medizinischen und politischen Kontext. Sichtbar gemacht in Installationen, Performances, einem Symposium. "UNSCHULD 6 - Ecclesia Saltans" bildet den performativen Höhepunkt.
Jahresprojekt, Toihaus Theater mit dem Ensemble und Gästen.
Cornelia Böhnisch: Idee, Konzeption, Organisation, Produktion.
UNSCHULD 1: Die Installation
SAVE THE LAST DANCE FOR ME
Reh, Herz, Wald, Blut, Kamera, ein Jahr.
Der Herzschlag als reduzierteste Form des Tanzes. Aber was kommt danach?
UNSCHULD 2: Das Seminar
In Zusammenarbeit mit dem Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst, Universität Salzburg / Universität Mozarteum.
15 Studenten, eine Choreographin, eine Zwangsjacke, zwei Fragen: Wo fängt der Tanz an, wo hört er auf? Was können Langzeitperformances?
Seminarleitung:
Cornelia Böhnisch: Künstlerische Betreuung.
Dr. Sandra Chatterjee: Wissenschaftliche Begleitung.
UNSCHULD 3: Die Studie
Performance über die mittelalterliche Tanzwut in Verbindung mit körperlichen Bewegungsformen, abgeleitet von der Krankheit Chorea Huntington. Die Grenzen zwischen Kunst und Krankheit werden hier gleichzeitig sichtbar und unsichtbar. Produktion:
Cornelia Böhnisch: Choreographie.
Susanne Lipinski, Ceren Oran, Katharina Schrott, Pascale Staudenbauer: Tanz. Angelika Miklin, Yorgos Pervolarakis, Gudrun Raber-Plaichinger, Yoko Yagihara: Musik, Gesang.
UNSCHULD 4: Das Symposium
In Zusammenarbeit mit dem Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst, Universität Salzburg / Universität Mozarteum.
Präsentation der Ergebnisse aus UNSCHULD 2. Von der mittelalterlichen Tanzwut über kulturelle Kontexte von Tanz und Bewegung bis hin zur Aktionskunst, die die Grenzen der Kunst, des Körpers und der Zuschauer auslotet und herausfordert. Beleuchtet aus tanzwissenschaftlicher, tanz-anthropologischer und künstlerischer Perspektive.
Vorträge:
Josephine Fenger, Tanzpublizistin: Choreomanien. Die Kultur des Wahnsinns im Tanz. Andrée Grau, Professor für Tanzanthropologie an der University of Roehampton, London: Why people dance - an evolutionary perspective.
Wolfgang Flatz, Aktionskünstler (Ausfall aufgrund familiärer Gründe am Vortag des Symposiums).
Fachreferenten:
Monica Delgadillo Aguilar, Director, Tanz die Toleranz. Univ.-Prof. Dr. Claudia Jeschke, Universität Salzburg. Dr. Sandra Chatterjee, Universität Salzburg.
Cornelia Böhnisch
UNSCHULD 5: Die Performance
Der Tod und das Mädchen, auf dem Friedhof St. Peter, über die Liebe zum Leben.
Produktion:
Myrto Dimitriadou: Idee, Regie.
Cornelia Böhnisch, Sarah Born, Susanne Lipinski, Tobias Ofenbauer, Katharina Schrott, Pascale Staudenbauer, Arturas Valudskis: Performance.
Hüseyin Evirgen, Angelika Miklin, Yorgos Pervolarakis, Gudrun Raber-Plaichinger, Yoko Yagihara: Musik.
Sigrid Wurzinger: Kostüme & Requisiten.
Alex Breitner: Licht, Technik, Pyrotechnik.
UNSCHULD 6: Das Stück
Ecclesia saltans Organic Techno
Kirche, Tanz, Musik: eine heilige, diabolische Symbiose. Wo wird aus Tanz Musik? Und wo wird Musik zu Tanz? Zwischen den Grenzen von Musik und Bewegung; ein Organismus aus Körpern, Flüssigkeiten, alter Musik, Tanz und einem sterbendem Cembalo. The most silent techno club in the world.
„Auf einer baugerüstartigen Installation ein Orchester aus Wassergläsern, Kübeln, Gießkannen, Schläuchen, Infusionsflaschen (...) ein übergroßes Musikinstrument. Die Musik durch Wasser erschaffen, nicht durch Luft oder Atem. Ein archaischer Klang, der ganz an das Innenleben des Zuhörers appelliert. Doch was fließt im menschlichen Körper? Wann werden Geräusche zu Tönen und Rhythmus? Wann wird aus Bewegung Tanz? Wichtige Impulse für dieses Aufspüren waren der mittelalterliche Ritus des Veitstanzes sowie die neuroyale Erkrankung Chorea Huntington. Die Ursachen für Bewegung sind beiden Phänomenen diametral entgegengesetzt, sind entweder nicht vermeidbar oder bewusst herbeigetanzt. Cornelia Böhnisch ist gemeinsam mit vier Tänzerinnen und dem musikalischen Quartett ein faszinierendes Zusammenspiel von Klang und Bewegung gelungen, eine Reise durch den Körper und aus ihm heraus, bei dem Töne die höheren Worte sind. Der Abend beeindruckt nachhaltig und ist lohnend für jeden, der sich auf ihn einlässt.“
Verena Schweiger, Salzburger Nachrichten, 12.10.2015
„Eine heilige Symbiose aus Kirche, Tanz und Musik entsteht vor den Augen der staunenden Betrachter*innen. Tempovariationen kreieren neue Klänge, fade in / fade out Schriftzüge sind unauffällig / auffällig auf dem Bühnenboden platziert. Mit großer Körperbeherrschung rollen die Tänzerinnen eingangs sanft, später schnell, laut und wild über die Bühne, während jeder Ton in den Zuschauerbereich übertragen wird. Jedes noch so kleine Knirschen und Streifen gewinnt unglaublich an Lautstärke, beinahe ist man versucht, auch das eigene Schlucken zu unterbinden. Etwas entsteht auf der Bühne, ist geordnet und gereiht, weiß und rein, bis, ja, bis der selbstproduzierte „Wasserpark“ in Betrieb genommen wird. Vorher noch rein, züchtig und sich evolutionär langsam vom Boden erhebend, werden die anonymen Figuren – kaum können sie stehen, sich strecken und recken – in Versuchung geführt. Das Dämonische hält Einzug; das Wasser färbt sich rot. Das Tableau an Interpretationsmöglichkeiten ist auch für ECCLESIA SALTANS äonenweit und den Zuschauer*innen stehen sämtliche Gedankenkonstrukte offen. Immanuel Kant wäre entzückt.“
What I saw from the cheap seats, 17.10.2015
Vorstellungen und Produktion:
Toihaus Theater Salzburg
Cornelia Böhnisch: Idee, Konzeption, Choreographie, Bühne, Kostüm, Tanz.
Paz Katrina Jimenez: Assistenz Bühne & Kostüme, Tanz.
Katharina Schrott, Astrid Seidler, Pascale Staudenbauer: Tanz.
Georg Hobmeier: Dramaturgische Begleitung.
Angelika Miklin, Yorgos Pervolarakis, Gudrun Raber-Plaichinger, Yoko Yagihara: Musik, Komposition.
Alex Breitner, Robert Schmidjell: Licht/Technik.


Eine Kirche hüpft herum auf dem Friedhof, hinaus auf die Straße. /
Seht die Kirche hüpft. / Hinaus in die Welt. //
Die Kirche hüpft hinaus in die weltliche Welt, tanzt und verrenkt ihre Türme.
Die Glocken erklingen, die Glocken sie schwingen. / Die Kirche stampft. //
Stampft auf Wegen, Strassen und Häusern auf Bäume, Tiere und Wälder.
Die Kirche stampft, der Mensch hüpft. / Hüpft um die Kirche. //
Die Kirche hüpft hinein, hinaus.
Hüpft auf einen anderen Platz, überschlägt sich, steht auf der Spitze, wackelt und wippt,
kann nicht entscheiden, welche Seite. / Die Spitze bohrt sich in den Boden. /
Ausgehüpft. //





















